Ev. Auferstehungs-Kirchengemeinde Remscheid

Horizonterweiterung

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# Andacht to go

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Durch welche Brille schauen Sie so in und auf die Welt? Mit einer Brille, die eine Kurzsichtigkeit oder eine Übersichtigkeit ausgleicht? Und wie ist das, wenn Sie Ihre Brille absetzen? Was und wie nehmen Sie die Welt dann wahr? Manche sehen ohne Brille auch fast gar nichts mehr.

Und wie ist das, wenn wir eine Lupe zur Hand nehmen? Oder durch ein Fernglas schauen. Kleine Details, die wir sonst nicht sehen könnten, werden so sichtbar.

Tolle Erfindungen: Brillen, Lupen und Ferngläser!

Und auch sonst schauen wir ganz unterschiedlich auf die Welt, auf uns und die anderen.

Wenn uns etwas sehr bewegt, schauen wir die gesamte Welt aus diesem Blickwinkel an. Wer gerade besonders heftig verliebt ist, wird überall Zeichen der Liebe entdecken, in der Natur, in Texten, in Begegnungen. Wir schauen durch die sprichwörtlich „rosa Brille“, durch die wir dann alles wahrnehmen.

Und auch sonst sind wir mit unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrnehmungen unterwegs: mit der Milieubrille – mit der Parteibrille – mit der kirchlichen Brille – mit der Brille mit diesem Vorurteil –mit der Brille mit jenem Vorurteil

Wir leben gerade in der österlichen Zeit.

Hat sich Ihr Blick auf die Welt seit Ostern verändert? Haben Sie eine neue Sicht, zum Beispiel auf Gott gewinnen können?

In den Geschichten der frühen Gemeinde geht es um Wahrnehmungen, Sichtweisen und Erkenntnisse. Eine erzählt davon, wie Jesus und Bartimäus einander begegnen.

Jesus ist mit seinen Jünger:innen auf dem Weg nach Jerusalem, hin zu seiner Hinrichtung, als in Jericho der stadtbekannte Bartimäus schreit: „Jesus, erbarm dich meiner!“ (Markus 10,46-52)

Bartimäus ist nicht irgendein unbekannter, bettelnder Blinder. Ausdrücklich wird er mit Namen genannt. Der Name Bar-timäus sagt, um was es geht: Bar (= Sohn) von Timäus; Timäus ist die Kurzform von Timotheus. Und Timotheus bedeutet „einer, der Gott die Ehre gibt“.

Bartimäus ist ein wahrer Gottesverehrer, dessen ‚Augen stets auf Gott, den Herrn, gerichtet sind’ (Psalm 25,15). Dieser Bartimäus schaut, obwohl körperlich blind, durch die Brille eines frommen Menschen, der Jesus richtig einschätzt, wie das andere „Sehende“ nicht tun.

Bartimäus bettelt. Er hat sonst keine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Außerdem wollen nicht viele etwas mit ihm zu tun haben. „Sei still, Bartimäus!“ Viele Augenkrankheiten werden durch Bakterien verursacht, noch heute. Man wollte sich nicht anstecken. Bartimäus, oder diejenigen, die ihn zu seinem Platz führen, an dem er betteln kann, hat seinen Platz gut gewählt. Es ist ein Platz vor der Stadt in Richtung Jerusalem; da müssen alle Pilger:innen durch. Die sind in besonderer Weise zu Almosen verpflichtet.

Und: Bartimäus sitzt da nicht nur zum Betteln. Er scheint auf etwas anderes zu warten. Er hört ganz genau hin, „dass es Jesus der Nazarener ist“, der da durch die Stadt kommt: Jesus – Jeschua – Retter, Befreier, Helfer ... „heilsam“ und „tröstend“, das steckt schon im Namen Jesu ...

Bartimäus ist das Sprachrohr der Gemeinde. Die Gemeinde – wir – bitten Gott in Jesus um Erbarmen.

Immer wieder brauchen wir es, dass Gott sich um uns kümmert, dass er uns von unserer Blindheit heilt, dass uns rettende Perspektiven eröffnet werden.

Wer Jesus ruft, wird nicht gesagt.

Aber so ist das in der Kirche: Der „Ruf“ Jesu muss nur durch irgendwen überbracht werden.

Erst jetzt kommt die Einladung. Die besteht aus drei Teilen: „Sei guten Muts“, „steh auf“ (auferstehe), denn „[Jesus] ruft dich“.

Ermutigung haben wir alle nötig.

Schon früher hatte Jesus seinen Jüngern gesagt – als sie nachts alleine auf dem See unterwegs waren und sie ihn für ein Gespenst gehalten haben –: „Seid guten Muts! Ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ (Mk 6,50)

Und wir müssen „auferstehen“, uns aufrichten; nur so sind heilsame Veränderungen möglich.

Was für ein Unterschied: hilflos am Boden zu sitzen – oder zu stehen.

Bartimäus springt auf, wirft seinen Mantel weg.

Und dann macht Jesus nicht einfach mal. Zunächst fragt er Bartimäus: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Wenn jemand die Welt wirklich (wieder) klar sehen möchte, kommt auch all das zum Vorschein, was er/sie sich vorher an Anblick ersparen konnte.

Jesus gibt Bartimäus (durch seine Frage) die Chance darüber nachzudenken, ob er auch wirklich alle Konsequenzen durch die Veränderung will. Denn zumindest mit dem Betteln wäre es im Fall seiner Heilung wohl endgültig vorbei.

Bartimäus redet Jesus nun als „Rabbuni“ an – einer Steigerungsform von Rabbi („mein Herr“).

Er sagt damit: Ich brauche dich als Lehrer, als jemand, der mich leitet, nicht nur eine milde Gabe.

Bartimäus bekommt eine neue Brille, bisher konnte er nur hinunterschauen, jetzt kann er „aufschauen“.

Bartimäus hat „blind“ in der Masse der Pilger den Richtigen herausgefunden. Und auch Jesus stellt sich ihm. Sie begegnen einander.

Ab dann sind sie gemeinsam auf dem Weg. Und wir mit ihnen – in das Licht eines neuen Morgens.

Ihnen eine frohe österliche Zeit.

Bleiben Sie behütet – in allem, 

Ihre Pfarrerin Anne Simon

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